Die Ratisbona - Geschichte von Schlaraffia Ratisbona
Die einstige Römerstadt Regensburg, heute florierender Wirtschaftsstandort auf der einen und UNESCO-Weltkulturerbe mit hoher Lebensqualität auf der anderen Seite, erlebte im 19. Jahrhundert einen schweren Bedeutungsverlust. Bis 1803 Sitz des Immerwährenden Reichstags war die Handelsmetropole des Hochmittelalters durch die Schleifung der Stadt im Rahmen der Napoleonischen Kriege 1809 und noch mehr durch deren politische Folgen zur bayerischen Provinzstadt abgestiegen. So verwundert es nicht, dass es diese Stadt noch den Segnungen der „guten, alten Zeit“ zu verdanken hatte, als in Regensburg am 14. März 1879 (nach schlaraffischer Zeitrechnung also im Lenzmond a.U. 20) das erste Schlaraffenreych Bayerns gegründet wurde.
Das Stadttheater als wichtige Voraussetzung für die Ratisbona-Gründung
1804 war unter Carl Theodor von Dalberg, geistlicher und weltlicher Herrscher über das eigenständige Fürstentum Regensburg (1803-1810) und Fürstprimas des Rheinbundes, das heutige Regensburger Stadttheater errichtet worden, das nach einem verheerenden Brand 1849 unterging und ab 1852 rekonstruiert wurde. Obwohl der Bau erst 1881 fertiggestellt wurde, konnte der Theaterbetrieb, nicht zuletzt durch Unterstützung des Fürstlichen Hauses Thurn & Taxis, mit einem Provisorium aufrechterhalten werden. Sehr zum Wohle des Schlaraffentums, dessen frühe Ortsvereinigungen (Reyche) wie schon im Falle der Allmutter Praga fast ausschließlich durch Theaterschaffende – Schauspieler, Sänger und Musiker – ins Leben gerufen wurden. Im Fall Regensburg war dies der Schauspieler und Sänger Julius Kotz, der als Ritter Hiesl der Baier dem achten Schlaraffenreych Colonia Agrippina (Köln) angehörte und hier während seinem Engagement am Regensburger Stadttheater im Auftrag seines Reyches die Schlaraffia Ratisbona als 12. Reych des Weltbundes Allschlaraffia® gründete. Ein typisches Merkmal der frühen Schlaraffen ist der häufige Wechsel von Reychszugehörigkeiten, verursacht durch oft jährlich wechselnde Theaterengagements über teilweise große Distanzen hinweg. Erst mit diesem Wissen wird nachvollziehbar, warum es ausgerechnet der Ratisbona-Ritter Schnäuzchen der Zierliche war, der 1882 in Ostpreußens Hauptstadt Königsberg die Regismontana (46), eines von drei Tochterreychen der Ratisbona, gründete.
Von der Gründung 1879 bis zur Auflösung des alten Reychs
Das wohl augenfälligste Relikt aus der Gründungszeit der Schlaraffia ist auch die Einteilung des Jahres in Sommerung und Winterung. Ausschließlich von Oktober bis April finden die wöchentlichen Zusammenkünfte (Sippungen) der Schlaraffen statt, den damals üblichen Theaterspielzeiten entsprechend. In den Sommermonaten waren viele Theaterleute wie auch heute in privaten Engagements und Auftritten unterwegs. Nur in loser Abfolge finden dagegen von Mai bis September zwanglose und nicht Spiegel & Ceremoniale, dem Regelwerk des Schlaraffenspiels, unterworfene Veranstaltungen, die so genannten Krystallinen, statt.
Die personelle Zusammensetzung der ersten Schlaraffenreyche war Garant für hochqualitative Rede-, Gesangs- und Musikbeiträge (Fechsungen), die auch die bald in die Schlaraffenreyche drängenden anderen Berufsgruppen anspornten. Schon früh waren also auch Ärzte, Rechtsanwälte und Beamte geschätzte Sassen der Ratisbona und bereits 1899, beim 20. Gründungsfest des Regensburger Schlaraffenreyches war kein Würdenträger, also gewählter Funktionsträger des Vereins, mehr Mitglied eines künstlerischen Berufs, stattdessen wesentliche Vertreter der Regensburger Stadtgesellschaft, wie der Bankier Max Weinschenk (Ritter Plateau) oder der Rechtsrat und spätere 1. Bürgermeister Alfons Auer (Ritter Eliland). Obwohl das Archiv durch Vernichtung umfangreicher Unterlagen im Zuge des nationalsozialistischen Regimes und dessen offiziellen Verbot der Schlaraffenreyche im Februar 1937 (der Verein Schlaraffia Ratisbona e.V. hatte sich wie viele andere Reyche bereits Ende 1933 durch den politischen Druck aufgelöst) massiv dezimiert wurde, sind noch zahllose Informationen und Anekdoten aus den ersten Jahrzehnten der Ratisbona überliefert. Diese wurden von den Ratisbona-Rittern Musi-Stanz, Auf-Sicht und Schwalangelo in der lesenswerten Festschrift zum 125jährigen Jubiläum der Ratisbona im Jahre 2004 niedergeschrieben. Darunter befindet sich auch ein Kapitel zum bewegenden Schicksal von Ratisbona-Rittern, die wegen ihres Glaubens oder ihrer politischen Haltung – zwei Kategorien, die bei schlaraffischen Sippungen ganz bewusst ausgeklammert werden, weil sie das Leben der schlaraffischen Tugenden Kunst, Freundschaft und Humor in der Regel eher behindern – von den neuen Machthabern verfolgt wurden.
Wiedergeburt nach „uhufinsterer Zeit“
Nach dem Ende dieser „uhufinsteren Zeit“ sollte es noch drei Jahre dauern, ehe die Amerikanische Besatzungsbehörde durch Vermittlung des Regensburger Oberbürgermeisters Alfons Heiß, einst selbst Ritter Page der Ratisbona, und den Einsatz der Ritter Vagabundus (Friedrich Bertram) und Schwalangschör, dem bekannten Regensburger Kunstmaler Max Wissner, der Wiedergründung von Schlaraffia Ratisbona zustimmte. Mit dem Juristen Fritz Öttinger (Ritter BGB), langjähriger Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Regensburg, und seinem sozialdemokratischen Berufskollegen Josef Artmann (Ritter Quell-voll) hatten auch zwei derer, die in uhufinsterer Zeit besonderen Demütigungen ausgesetzt waren, wieder eine wichtige Rolle im Spiel der Ratisbonen eingenommen. War die große Zeit der Berufsmusiker und Schauspieler in der Ratisbona lange vorüber, so durfte sich das Reych ab den 1920er Jahren über eine Vielzahl bildender Künstler und Maler freuen, deren Werke bald die verschiedenen Burgen in der Geschichte der Ratisbona schmückten und noch heute – insbesondere die kunstvollen Wappen aus der Hand der Ritter Schwalangschör und der Kunstschmiede Franz (Ritter Punzo) und Rudolf Weichmann (Ritter Kupfernikus) – die „Barbaraburg“ zieren. Diese galt beim Einzug des Schlaraffenreychs Ratisbona in die umgebauten ehemaligen Ausnüchterungszellen der Stadtpolizei hinter dem Alten Rathaus als eine der schönsten Burgen des „Uhuversums“.
Sonderstempel der Bundespost zur 100-Jahr-Feier
Der Umzug in die größeren Räumlichkeiten im Jahr 1956 war nötig geworden, weil das mittlerweile auf etwa 70 Sassen angewachsene Reych in der „Arnulfsburg“, im bekannten Mutterhaus der Regensburger Brauerei Kneitinger untergebracht, zu klein geworden war. Die Sassenzahlen Ende der 1950er, Anfang der 60er Jahre konnten dauerhaft nicht gehalten werden, seit Jahren ist die Zahl der Ratisbona-Ritter aber stabil bei etwa 60 Knappen, Junker und Rittern. Diese sippen seit Jahrzehnten am Freitagabend in der „Barbaraburg“ mit ihren Gästen, aus anderen Orten angereisten (eingerittenen) Schlaraffenbrüdern. Bei besonderen Gelegenheiten hat sich aber selbst die „Barbaraburg“ als zu klein erwiesen. So kamen bei der 75-Jahr-Feier 1954 im Neuhaussaal des Stadttheaters über 300 Schlaraffen mit ihren Burgfrauen (Gattinnen) zusammen. Die 100-Jahr-Feier veranlasste die Bundespost nicht nur zur Herausgabe eines Sonderstempels am 10.03.1979 (a.U. 120), sondern besondere Gäste, wie der Schauspieler und Schlaraffenritter Skipps Ben Kneissel, besser bekannt als Gustl Bayrhammer, aus dem Münchner Reych Monachia (15) und die Regensburger Domspatzen verschönerten u.a. den Abend. Über 800 Sassen mit Tross (Angehörigen) kamen damals in der Universitätsmensa zusammen, um Kunst, Freundschaft und Humor zu frönen. Und so wie damals sippen und fechsen die Ratisbonen noch heute. Rt. Lulupoldi