Was Sie über den Weltbund Allschlaraffia® wissen sollten
Heute sind fast 10 000 Männer weltweit auf fünf Kontinenten in über 300 Ortsvereinen (Reyche) Mitglied des Weltbundes Allschlaraffia®. In dem deutschsprachigen Bund wird den Idealen Kunst, Freundschaft und Humor gefrönt. Entstehung, Verbreitung und Aufstieg werden im Folgenden ebenso dargestellt wie die Anfechtungen von Allschlaraffia® durch katholische Kirche und die totalitären Systeme des 20. Jahrhunderts und deren Überwindung.
Darüber hinausgehende Informationen finden Sie auf der offiziellen Webseite des Weltbundes Allschlaraffia® www.schlaraffia.org .
Wie sich aus dem „Proletarierclub“ die Schlaraffia entwickelte
Im Herbst 1859 wollte Franz Thomé (1807-1872, Foto), der Direktor des Deutschen Theaters in Prag, seinen Freund und Kollegen Albert Eilers (1830-1896), einen Bassisten seines Ensembles, in die bürgerliche Künstlervereinigung „Arcadia“ aufnehmen lassen. Dieses wurde von der standesbewussten Führung des Vereins jedoch mit Verweis auf die so bezeichnete „proletarische Herkunft“ des Künstlers abgelehnt. Diese Ablehnung, die gut den Standesdünkel der damaligen Gesellschaft im Habsburger Reich widerspiegelt, verärgerte Thomé, so dass er selbst aus der „Arcadia“ austrat und zusammen mit Eilers und anderen Kollegen den so genannten „Proletarierclub“ gründete. Als es dann darum ging, diesen offiziell eintragen zu lassen, wählte man aber den politisch unverdächtigen Namen „Schlaraffia“. Mit diesem Schritt wollte man vor allem der Zensurbehörde, die durch die Nachwehen der Märzrevolution und die zahlreichen nationalen Unabhängigkeitsbewegungen in dieser Zeit besonders obstruktiv wirkte, keine Angriffsfläche bieten. Gleichwohl ist „Schlaraffia“ in diesen Zeiten und auch weit später eine einzige Provokation für die führenden Stände im Obrigkeitsstaat gewesen: Aristokratie, Klerus und Militär. Nicht-adelige, anfangs ausschließlich dem Kulturbetrieb entstammende Männer, die sich gegenseitig Adelstitel und phantasievolle Orden verleihen, um einmal wöchentlich zusammen in Freundschaft und mit viel Humor ihrer Kunst zu frönen und nicht zuletzt „Uhu“, ihrem so zufällig wie absolut verehrten höchsten Wesen zu dienen.
Schlaraffisches Spiel als Persiflage der Gesellschaft
Damit persiflierten die Schlaraffen wesentliche Inhalte dessen, worauf die Gesellschaft im Habsburger Reich und auch in den deutschen Ländern und dem späteren Kaiserreich, aufgebaut war. Um dies nicht zu offensichtlich zu tun, was unweigerlich zu Sanktionen durch den Obrigkeitsstaat jener Zeit geführt hätte, wählte man einen Kniff, der das schlaraffische Treiben in vergangene Zeiten zurückversetzte. In den ersten Jahrzehnten des
Schlaraffentums drehte man die Uhr einfach 300 Jahre zurück, so war das Gründungsdatum der Schlaraffia dann der 10. Oktober, oder Lethemond, 1559 und für die Polizeibehörden war „Schlaraffia“ damit im aufkommenden Zeitalter des Historismus nur einer von zahlreichen damals aufkommenden Ritterbünden, von denen jedoch die wenigsten die Zeit überdauert haben. Mit den Jahren kam umfangreiches schlaraffisches Liedgut und eine eigene Schlaraffen-Sprache hinzu und das Absolutsetzen des „Uhu“ führte soweit, dass spätestens mit Beginn des 20. Jahrhunderts eine Zeitrechnung „Anno uhui“ die Rückdatierung ins 16. Jahrhundert ablöste.
Allmutter Pragas Geist weht bald bis Amerika
In der Tat war es so, dass mit zunehmender Verbreitung des Schlaraffentums – um 1890 bestanden bereits über 100 Reyche, darunter auch vier in den Vereinigten Staaten – mehr und mehr Mitglieder zur Schlaraffia fanden, die die Bandbreite stark erweiterten. Neben Vertretern aller Kunstrichtungen waren dies bald auch Industrielle, Rechtsanwälte oder Ärzte, nicht selten Personen, denen zum Beispiel aufgrund ihrer Herkunft oder ihres Glaubens der Zugang zu großbürgerlichen Vereinigungen ebenso verwehrt geblieben war, wie einst der des Künstlers Eilers in Prag zur „Arcadia“. Spätestens mit dem neuen Jahrhundert spiegelte die Sassenschaft der meisten Schlaraffenreyche das komplette Spektrum der „bürgerlichen“ Gesellschaft wieder. Dies wurde auch am steigenden Anteil von Offizieren, vor allem in den Reychen Austrias, deutlich. Immer mehr wurde der einst aus Protest gegründete Verein selbst Teil des Establishments und bald waren sogar Namen von Herren echten Adels in der Stammrolle, dem Verzeichnis aller Schlaraffen, zu lesen. Das unveränderte Beziehen auf die alten Regeln in Spiegel und Ceremoniale führte jedoch dazu, dass Schlaraffia immer Schlaraffia blieb: Ein Bund von unbescholtenen Männern gesetzten Alters, die in der Zeit der Sippung ihr gesamtes profanes Leben vor der Burg, dem Sippungssaal, lassen und nur noch, nein endlich, gleichberechtigte Ritter ihres Reyches sind.
Der „Uhu“ ruft die katholische Kirche auf den Plan
Hatte man die monarchistischen Zensurbehörden überlebt und bis in die Zwischenkriegsära einen fulminanten Aufschwung mit Gründung von Ortsvereinen sogar in Übersee erlebt, so geriet man – etwa zeitgleich mit dem Heraufziehen des Führerstaats – auch bei der katholischen Kirche in Misskredit. Dies führte zu einem Unvereinbarkeitsbann, den Papst Pius XI. (1857-1939, Foto) Mitte der 1930er Jahre gegen Mitglieder des Weltbundes Allschlaraffia® aussprechen wollte. Es ist Sassen, also Mitgliedern, des 1880 in Wien gegründeten Reyches Vindobona zu verdanken, dass dieser nie in Kraft trat. Eine Schar von Rittern pilgerte nach Rom und überzeugte den Heiligen Vater, dass die Verehrung „Uhus“ nichts mit Blasphemie zu tun hatte. Glaubt man den Lebenserinnerungen Rt. Ziehars, besser bekannt als der österreichische Schauspieler Paul Hörbiger (1894-1981), so hätte nicht viel gefehlt und der Papst selbst hätte sich auf die Prüflingsliste setzen lassen… Jedenfalls durften sich die Schlaraffen wieder einmal bestätigt gesehen haben, warum Religion und Politik bei Schlaraffia nichts zu suchen haben.
Untergang und Neubeginn
Zwischen den Idealen des Weltverbands Allschlaraffia® und der Ideologie der neuen Machthaber im Deutschen Reich ab 1933, den Nationalsozialisten, konnte es dagegen keine Verständigung geben. Ausgerechnet der Burgknabe, also der Sohn des Operntenors und Komponisten Richard Bruno Heydrich (1865-1935), Ritter der Schlaraffia Brunsviga (55), verfügte am 17. Februar 1937 die Auflösung aller noch verbliebenen Schlaraffenreyche auf dem Gebiet von Hitler-Deutschland. Nach dem Vergehen an der Kultur folgten bald seine Kriegs- und Menschheitsverbrechen: die Rede ist von Reinhard Heydrich (1904-1942), Leiter des Reichssicherheitshauptamts, dessen Vorbereitungen zur Massenvernichtung der Juden auch zahllose Schlaraffen zum Opfer fielen. Während sich nach dem Ende dieser „uhufinsteren Zeit“ die meisten Schlaraffenreyche der westlichen Hemisphäre wiedergründen konnten, verlängerte sich diese in den sowjetisch besetzten Ländern Mittel- und Osteuropas um zwei weitere Generationen. Seit 1990 kommt es aber trotz jahrzehntelanger Pause zumindest in den „neuen“ Ländern der Bundesrepublik immer wieder zu Neugründungen, zuletzt im Jahr 2016 in Görlitz. Etwa zeitgleich durfte sich Allschlaraffia® mit der Gründung der Colonie Gloria Victoria in Kanada aber auch über „Nachwuchs“ in Übersee freuen. Der „Uhu“ scheint wirklich ein ewiges Leben zu haben. Rt. Lulupoldi